Der Elbingeröder Kalkkomplex
DIE ENTSTEHUNG DER RÜBELÄNDER HÖHLEN
Ganz Mitteleuropa war im Erdaltertum während des Devons vor fast 400 Millionen Jahren von einem riesigen Meer bedeckt. In diesem Devonmeer sanken die Kleinlebewesen - primitive Einzeller, aber auch größere wirbellose Tiere wie Muscheln, Ammoniten, Schwämme und ganz besonders Korallen, die damals ganze Korallenriffe bildeten - nach dem Absterben auf den Meeresgrund hinab und bauten mit ihren kalkhaltigen Bestandteilen mächtige Kalkschichten auf. Im Kalkgestein sind noch heute zahlreiche sternförmige Abdrücke der Korallentierchen festzustellen; daher rührt auch die Bezeichnung „Riff-Korallenkalk“.
Im Karbon (Steinkohlenzeit), das dem Devon folgte, war dieses Meer zu einer weiten eintönigen Sumpflandschaft geworden, die mit dem üppigsten Pflanzenwuchs - riesenhaften Farnkräutern, baumhohen Schachtelhalmen und Bärlappgewächsen - bedeckt war. Gebirge und Berge fehlten noch gänzlich; es gab weder den Thüringer Wald noch den Harz. Während dieser Periode erfasste ein weltweiter Gebirgsbildungsvorgang das mitteleuropäische Gebiet. In dieser variszischen Ära vor etwa 300 Millionen Jahren wurden im Bereich der heutigen deutschen Mittelgebirge Faltengebirge emporgehoben, unter ihnen auch ein Vorläufer des Harzes. In ihm waren gleichzeitig die Kalkschichten der einstigen Tiefsee mit nach oben gepresst worden.
Nach Aufrichten dieser Gebirgsketten war die Erde aber nicht zur Ruhe gekommen. An zwei Stellen im Gebiet des späteren Harzes wurden die obersten Schichten der Erdkruste von emporsteigenden feurigflüssigen .Gesteinsmassen kuppelartig nach oben gewölbt, so dass die Granitmassive des Brockens und des Ramberges entstanden. Mit dem Aufbau des Variszischen Gebirges begann auch seine Zerstörung. Wind und Wasser, Frost und Sonnenstrahlung sorgten für Abtragung, Zertalung und Einrumpfung. Im folgenden Perm sowie in der Trias bedeckten wiederum Meere weite Teile Mitteleuropas. Jahrmillionen vergingen. Am Ende der Jurazeit begannen sich die verfestigten und einst im Meer versunkenen Schollen zu heben (Bruchfaltung). Im Tertiär wurden sie zu den heutigen deutschen Mittelgebirgen weiter emporgetürmt, darunter auch die Harzscholle. Das Meer wurde nach Norden zurückgedrängt. Der Harz war schließlich in etwa seiner heutigen Form entstanden: ein Bruchschollengebirge. Durch die Hebungen barst vielfach die Gebirgsscholle. Es bildeten sich Risse, Klüfte und Spalten im Gestein, die Voraussetzung für die späteren Höhlenbildungen.
Im Pleistozän (Eiszeitalter) schoben sich von Norden her mehrmals gewaltige Eismassen nach Mitteleuropa bis an den Harz heran, dessen östliche Teile (Unterharz) dabei selbst überströmt wurden. Die Eisvorstöße (insgesamt mindestens drei, wahrscheinlich sogar vier) waren von Zwischeneiszeiten (Warmzeiten) getrennt. Wenn wärmeres Klima einsetzte und das Inlandeis zurückwich, schmolzen auch die Schnee- und Firnkappen der höchsten Teile des Harzes. Die Schmelzwässer stürzten in reißenden Wildbächen zu Tal und arbeiteten die bereits vorhandenen Flusstäler weiter aus, vertieften und verbreiterten sie. So entstand auch das Bett der Bode.
Diese Wasser drangen nun auch in die Spalten und Klüfte des Gebirgskörpers ein, durchströmten sie, laugten den Kalkstein aus, lösten ihn und führten ihn mit sich fort. Auf diese Weise entstanden die ersten Hohlräume im Gebirge, die fast immer der ursprünglichen Kluftrichtung folgen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Bode selbst als Höhlenfluss die Entstehung der Hohlräume bewirkte; vielmehr waren es wohl kleine Nebengerinne, die - besonders an den Flusskrümmungen den geradesten Weg suchend - in die großen Ost-West-Klüfte eindrangen und sie aushöhlten. So ist die Entstehung der Rübeländer Höhlen zu erklären, da sich gerade hier dem in vielen Windungen hinziehenden Fluss zahlreiche Felsbarrieren in den Weg stellten. In den Höhlen kann man vielfach noch heute die einstige Arbeit der Höhlengewässer an den flach ausgewaschenen Mulden an den Wänden erkennen oder auch dort, wo mitgeführte Gesteinstrümmer die Wände aushöhlten (Kolke). Das Wasser bekam dadurch Raum, brauste und wirbelte durch die entstandenen Höhlungen, wodurch sich seine Wirkung verstärkte. Die Höhlungen vergrößerten sich schließlich zu kesselartigen Vertiefungen, Trichtern und Kuppeln von ansehnlicher Größe. Das in den Höhlen ruhig stehende Wasser laugte aus den abgeschürften Felswänden die leichter löslichen Adern heraus; es bildeten sich Runen gleichende Schründe an den Wänden. Schließlich wurden die Hohlräume auch erweitert, indem Wände und Decken, von der zermürbenden Arbeit der Höhlengewässer unstabil geworden, einstürzten.
Als Hauptentstehungszeit der Baumannshöhle ist die erste Zwischeneiszeit, vor etwa 500 000 Jahren, anzunehmen; damit ist sie die älteste der Rübeländer Höhlen. Für die Hermannshöhle kommt die zweite Zwischeneiszeit, vor etwa 350 000 Jahren, in Betracht. Das Vorkommen des Höhlenbären ist ebenfalls sicher für die zweite Zwischeneiszeit; ausgestorben sind die Tiere vor etwa 150 000 Jahren.
Die Auswaschung der Höhlen war abhängig von der Höhe des Bodebettes. So ist es verständlich, dass die oberen Hohlräume zuerst entstanden, also die ältesten sind, da das Bett der Bode damals etwa 40 m höher lag als heute. Mit der Vertiefung des Flussbettes verlagerte sich der Prozess der Höhlenbildung weiter nach unten. Es mussten zwangsläufig die Nebengerinne in größere Tiefen folgen, deshalb gehört die untere Schwemmhöhle der Hermannshöhle zu den jüngsten Hohlräumen. Da die Arbeit der Höhlengewässer schließlich mit dem Rückgang der Abflussmenge der Bode abnahm, kam es zu keinem weiteren Aushöhlen und Tieferlegen der Höhlen mehr; die Wasser flossen ab, und seitdem liegen die Höhlen trocken.
Lediglich die Hermannshöhle zeigt, dass auch heute die Höhlenbildung noch nicht abgeschlossen ist: Der Höhlenbach, der sie auf einige hundert Meter Länge durchfließt, arbeitet auch weiterhin an der Bildung neuer Hohlräume und deren Vertiefung, wenn auch mit wesentlich geringerer Kraft. Seine Wasser stellen einen Nebenarm der draußen im Tal entlangströmenden Bode dar, und sein Niveau entspricht fast genau dem heutigen Niveau der Bode.
Quelle:
HEINZ WIESE
Unser kleines Wanderheft Nr. 122, Rübeländer Tropfsteinhöhlen, Leipzig 1968