"Dreytausent Tollar Straffe!"

von: Anonymus (1997)


Die Karstlandschaft Jugoslawiens gehört wohl zu den beeindruckendsten in Europa. So ist es nicht verwunderlich, dass Jugoslawien in der Vergangenheit ein beliebtes Urlaubsziel war. Durch den im Süden des Landes immer noch andauernden Krieg wurde Südslawien in die Teile Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien - Herzegowina gespalten. Während der Süden des Ex-Jugoslawien immer noch ein Krisenherd bildet, entwickelt sich der Norden, allem voran Slowenien, wieder zu einem Urlaubsziel vieler Europäer. Seit mittlerweile über 15 Jahren fahren immer wieder Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz e.V. nach Slowenien und Istrien. So auch im Herbst des vergangenen Jahres. Zwar waren es diesmal nur drei Höhlenforscher, aber der Aufenthalt in den Bezirken Laibach (Ljubljana) und Adelsberg (Postojna) hätte nicht ereignisreicher sein können. Wohl unvergessen ist den Dreien der Tag an der Izvir Krke. Bei der Izvir Krke handelt es sich um eine Quellhöhle, die offen zugänglich ist. Quellhöhlen, so mag hier erwähnt werden, standen zur Jugoslawischen Zeit, aufgrund ihrer strategischen Bedeutung, unter strengem militärischen Schutz. Dies wird sich wohl durch die friedliche Entwicklung geändert haben - so dachten sie. In ihrer Annahme fühlten sie sich durch die Anwesenheit einer Mädchengruppe vor dem Höhlenportal bestätigt. So zogen die drei mit Filmscheinwerfern und Videokamera ausgerüstet in die dunkle Unterwelt. Wohl beeindruckt von den Räumlichkeiten und der guten Ausleuchtung der Filmscheinwerfer, folgte dem Trio ein Teil der Gruppe, die sie am Eingang getroffen hatten. Dort eine Fledermaus, hier eine Sinterwand und am Ende eines größeren Raumes begann ein hübscher Höhlensee. Aufgrund der offensichtlichen Schwierigkeiten mit leichten Damenschuhen auf groben Blockwerk zu balancieren, wollte die Mädchenklasse umkehren. Leider war es ohne die Videoleuchten recht dunkel, so dass der Kleine wieder mit einer Leuchte zum Eingang zurück musste. Als er nun zu den anderen zurückkehrte um ihnen zu folgen, meinten diese nur: "Ohne Neopren kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen zurück zum Auto!". Leicht verärgert über die unnütze Lauferei, aber neugierig auf die mögliche Fortsetzung folgte er den beiden zum Wagen. Am Wagen angekommen, begannen die drei Jamarski damit die Taucheranzüge anzulegen. Während der eine verzweifelt versuchte den Reißverschluss des schon seit Jahren zu kleinen Anzuges zu schließen, verwandelte sich ein anderer zu einem Michelinmännchen indem er seinen Trockensurfanzug aufblies. Der dritte sah in seinem kaum benutzten Taucheranzug aus, wie aus einem veralteten Katalog. Vollendet wurde die Optik durch die Helme mit Karbid- und Elektrolicht. Ein besonderer optischer Leckerbissen war ein selbstgebauter Halogenscheinwerfer aus HT - Rohren. Dieses Gerät erinnert stark an eine Maschinenpistole und hat schon bei früheren "Einsätzen" gute Dienste geleistet. Abgerundet wird das gute Stück durch den Tragriemen, welcher jetzt an einem Zubehör des Milanwaffensystems der Gebirgsjäger fehlt. So ausgerüstet ging es erneut zum Höhlensee. Links des Sees ragte eine steile Wand aus dem klaren und kühlen Wasser. In circa vier Meter Höhe verwandelte sich die Wand in eine lehmbedeckte Schräge von ungefähr vierzig Grad Neigung. Da das Wasser bei Temperaturen von 8 Grad Celsius nicht unbedingt zum Baden einlud, versuchten der Jüngste und der Älteste über das rutschige Lehmband zu gehen. Aus dem Wasser ragten scharfkantige Felsbrocken genau an der Stelle an der sie auf das Wasser aufschlagen würden. So entschieden sich die beiden doch dem Dritten zu folgen, der in seinem Surfanzug schon trocken am anderen Ende des kleinen Sees wartete. Nach der zweiten Wasserstrecke war recht schnell klar, dass es nicht mehr ohne Tauchgerät weiterging und das Trio musste umkehren. Da das Schwimmen in einem Höhlensee fernab jeglicher Menschenseele schnell zur Erheiterung beitrug, wurde alsbald gerufen, gebellt und wie ein Affe geschrieen. Als sie die letzte Wasserstrecke durchschwammen, mussten sie feststellen, dass die Strömung doch stärker war als sie zunächst dachten. Endlich am Ufer angekommen, entdeckte der Mittlere ein Loch in der gegenüberliegenden Wand. Zügig einigten sich die beiden anderen darüber wem die Ehre gebühre diese mögliche Fortsetzung zu untersuchen. Und so durfte der Mittlere sogar als Erster zurück in das kühle Nass. Derweil blieb das Duo am See um abzuwarten, ob sich der erneute Weg durch das Wasser lohnen würde. Plötzlich fing der Ältere der Beiden an zu pfeifen. Sofort rüffelte ihn der Jüngere mit den Worten:" Pfeifen im Berg bringt Unglück! ". Etwas verwundert über die Abergläubigkeit seines kleineren Vereinskameraden entgegnete er zu Rechtfertigung:" Das gilt nur für Bergwerke, nicht für Höhlen! ". Kaum waren seine Worten in der großen Halle verklungen, schwenkte auch schon ein Lichtfinger durch den nebligen Raum. Gespannt darauf welche anderen Höhlenforscher noch um diese Zeit hier unterwegs sind - und ohne zu ahnen wer dort naht - warteten sie immer noch auf ihren dritten Kameraden. Von Ferne klang schon das erste "Hallo!" durch den Saal. Noch guter Dinge antwortete der Ältere, der vorher so unbekümmert pfiff, mit einem "Haalloo!". Von dem Unbekannten erhielt er jetzt als Antwort ein etwas fragender klingendes "Hallo?". Angeregt durch die gute Akustik, reagierte er jetzt mit einem mehr als unsicher fragendem "Haalloo??“ Inzwischen schien der Unbekannte etwas ungeduldig geworden zu sein, und er rief fordernd, fast wie ein Befehl klingend, ein kurz und knapp gesprochenes "Hallo!". Kurz danach sahen die beiden auch schon in ein gleißend helles Licht. Rechts daneben war ein rotleuchtender Ring zu erkennen. Noch verwundert über die eigenartige Illumination der zwei anderen Gestalten, standen die beiden Höhlenforscher ruhig am See. Auf einmal schrie eine der unbekannten Gestalten etwas aus slowenisch. Und der Kleine antwortete "Ne govorim slowensko!". Etwas freundlicher kam die Antwort wieder auf slowenisch. Schließlich rief der Jüngere zurück "Njemsko!" Jetzt antworteten die Unbekannten mit "Policia!". Völlig ungläubig und im festen Glauben an einen Scherz von slowenischen Speläologen, fragte der Kleine "Pooliiciiaaa?!?", während der Ältere hektisch an seinem Karbidentwickler rappelte und wie angewurzelt stehen blieb. Erwartungsvoll wer sich da inmitten der Unterwelt als Policia ausgibt, machte sich der Kleine auf den Weg zu den beiden Unbekannten. Er staunte nicht schlecht, als sein Licht auf eine der beiden Figuren fiel. Schwarze hochglanzpolierte Schuhe mit Lederbrandsohle, dunkle Tuchhose mit Streifen an der Hosennaht, Oberhemd mit Krawatte, Blouson, Mütze und in der rechten Hand eine Leuchtkelle. Wahrhaftig - es war ein Polizist wie aus dem Bilderbuch mitten in einer aktiven Wasserhöhle. Auch der . ältere der Njemskos traute seinen Augen kaum und er hatte große Mühe sich das Lachen zu verkneifen als er die Kelle sah. Diensteifrig fragte einer der Beamten "Tourist oder Speleo?". Völlig verärgert darüber als Tourist bezeichnet zu werden, betonte der Lange "Nix Tourist, Speleo!". Etwas beruhigter meinte der Polizist "Was Sie suchen?". Mit gut gesetzten Worten und einem professionellen Auftreten wurde dem Beamten erklärt, dass sie auf der Suche nach Fortsetzungen wären. Unterstrichen wurde dies durch einen. ärgerlichen Tonfall und die Missbilligung der Störung ihrer wissenschaftlichen Arbeiten. Pflichtbewusst wie die Polizisten waren, ließen sie sich aber nicht von ihren Dienstgeschäften ablenken, und forderten die Jamarski auf aus der Höhle zu kommen. Langsam fiel den beiden wieder der vergessene Kamerad ein, der noch auf Erkundungstour war. Besorgt darüber, dass dieser alleine in der Höhle zurückbleiben könnte, lehnten sie es ab, den Ordnungshütern zu folgen. Der Mittlere des Trios saß noch immer, dem Dialog lauschend, hinter einer Felsspalte. Als ihm zugerufen wurde "Schlappi! Komm mal her!", eilte er durch den See zu seinen Vereinskameraden. Erstaunt darüber einen Höhlenforscher übersehen zu haben, fragte einer der Uniformierten "Sind Sie jetzt alle Personnen?". Als er von allen drei ein zustimmendes Gemurmel erhielt, leuchteten die drei den beiden Ordnungshütern den Weg aus der Höhle. Draußen angekommen war ihnen die mittlerweile entstandene Situationskomik schlagartig vergangen, als sie in die Mündungen von zwei Maschinenpistolen blickten. Zwei weitere Polizisten standen dort und sicherten so den Eingang ab. Am Wagen angekommen mussten sie ihre Ausrüstung vorzeigen. Ein besonderes Interesse entwickelten die vier Beamten für eine Chemikalientonne. Sichtlich beruhigt waren sie, als aus selbiger kein Gift sondern nur dreckige Schlaze hervorgeholt wurden. Schließlich traf der prüfende Blick des. älteren Polizisten eine olivgrüne Munitionskiste, und ein fragender Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Umso überraschter war der jüngste Höhlenforscher, als der Beamte sich mit seiner Antwort "Fotokamera!" zufrieden gab, und auf das öffnen des Behälters verzichtete. Wahrscheinlich benutzen wohl alle Höhlenforscher auf der Welt olivgrüne Munitionskisten. Erneut kam jetzt die Frage auf: "Was Sie suchen?". "Hydrogeologie" entgegnete der. älteste geistesgegenwärtig. Und schnell wurden ihm anhand einer topographischen Karte die karsthydrogeologischen Zusammenhänge von Ponoren und Quellen erklärt. Erstaunt über dieses Fachwissen und fast sympathisierend mit den Forschern, begnügte sich der Uniformierte damit, dass nur einer der Gruppe seinen Personalausweis vorlegte. Dass dieser schon längst abgelaufen war, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Erst als ein Polizist, der sich bis dahin im Hintergrund hielt, "Dreytausent Tollar Straffe!" vor sich hin murmelte, mussten alle ihren Ausweis vorzeigen. Inzwischen hatte der Besitzer des abgelaufenen Ausweises auch seinen noch gültigen Reisepass gefunden. So erhielt der Staatsdiener zwei Reisepässe, einen Personalausweis und ein amtliches Einreisevisum. Er schien sich aber noch daran zu erinnern, vorher einen weiteren Personalausweis gesehen zu haben. Also fragte er "Sind Sie sicher, dass Sie nur drey Personnen?". "Ja!" lautete die Antwort. Ungläubig fragte er nochmals nach: "Sind Sie ganz sicher, dass Sie nur drey Personnen?", "Jaa!" ertönte es wieder im Chor. Um die Aussage zu unterstreichen, wurde ihm der abgelaufene Personalausweis wieder ausgehändigt. Zusätzlich erhielt er noch zwei ArGe- und einen VdHK-Ausweis. Von dieser Ausweisflut beeindruckt, war er sehr freundlich geworden. Im Hintergrund murmelte es wieder "Dreytausend Tollar Straffe!" und einer der Beamten sah sich jetzt genötigt die Personalien zu notieren. Nachdem die drei Auskunft darüber gaben wo sie in Slowenien wohnen, fragten sie was jetzt passieren würde. "Nix!" bekamen sie als Antwort während sie das Genuschel "Dreytausent Tollar Straffe!" eines Beamten zum dritten mal ignorierten. "Nichts!" fuhr der Einsatzleiter fort "Sie fahren zurück wo Sie wohnen in Slowenien!“. Sich keiner Schuld bewusst, fragten sie nach, welches Vergehen sie begangen hätten. "Chöllenforschung bei Nacht verbotten!" entgegnete ihnen der Einsatzleiter. Eine Erfahrung reicher, und in der slowenischer Gesetzgebung etwas bewanderter, zogen die drei sich um, und kehrten nach Laze zurück. Wenn sie heute ruhig in einer Höhle sitzen, hören sie noch heute manchmal ein "Hallo!" durch die Räume klingen. Und mit viel Glück schallt sogar ein "Pooliiciiaaa?!?" durch die Luft. Aber pfeifend traf man sie nie wieder im Berg, denn pfeifen im Berg bringt bekannterweise Unglück. Trotz gewisser literarischer und stilistischer Freiheiten verbürgt sich der Verfasser dieser Zeilen für den Wahrheitsgehalt des Ereignisses. Er möchte jedoch aus Angst vor Repressalien durch genannte Personen anonym bleiben.