Grabung im Burgbrunnen von Schloß Nienover


von Lothar Türck

Nienover (Landkreis Northeim) liegt im südniedersächsischen Solling, dem zweitgrößten Waldgebiet des Landes. Karstkundlich gesehen ist das Buntsandsteingewölbe des Solling und Reinhardswaldes eine recht uninteressante Landschaft, die nächsten Karstgebiete finden sich im Weserbergland, im Harz und in Nordhessen.

Anfang des 12.Jahrhunderts wurde die Burg Nienover errichtet, in diese frühe Zeit fällt sicherlich auch die Anlage des Burgbrunnens.
Im 13.Jahrhundert existierte neben der Burg die Stadt Nienover, die jedoch nicht bestehen blieb.
Nach der Zerstörung im 30jährigen Krieg, wurde noch vor Kriegsende mit dem Wiederaufbau der Burg als Schloß begonnen. Der Brunnen wurde mit einbezogen, heute ist er eines der letzten Relikte der mittelalterlichen Anlage.

Seit der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts wird das Schloß von einer 2km langen Wasserleitung, wohl der frühesten in der Region, mit Trinkwasser versorgt.
Bis in das 19.Jahrhundert wurde der Brunnen zur Entsorgung von Abfällen genutzt und dann verschlossen.

Seit 1996 finden unter der Leitung von Prof. Dr. H.-G. Stephan archäologische Ausgrabungen auf der Stadtwüstung statt, seit 2000 wird auch der Brunnen in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz e.V.  archäologisch erforscht.



Der Brunnen

Der Brunnen ist auf den oberen 7m, mit rundem Querschnitt, gemauert und darüber mit einem Tonnengewölbe verschlossen. Der Einstieg ist nur durch eine Öffnung in einer teilweise über dem Schacht verlaufenden Wand der Schloßgebäude möglich. Ab -7m steht er im anstehenden Buntsandstein,  mit annähernd quadratischem Querschnitt von 2,3 x 2,3m.
Zu Beginn der Grabung 2000 erreichte er bis zur Oberkante der Verfüllung eine Teufe von 29m, 2004 32,5m.


Grabungstechnik

Personenfahrung geschieht mittels üblicher SRT-Technik. Das Speleoseil wird nach jeder Ein- oder Ausfahrt wieder herausgenommen. Es wird ausreichend Rettungsmaterial vorgehalten.

Zum Schutz der auf der Schachtsohle arbeitenden Personen vor Steinschlag wurde eine den halben Brunnenquerschnitt bedeckende Schutzbühne errichtet, die mit fortschreitender Teufe in Abständen nachgesetzt wird.
Auf der Sohle wurde elektrische Beleuchtung eingerichtet. Mit einem Industriestaubsauger kann zusätzlich bewettert werden.

Gefördert wird mittels eines elektrischen Greifzugs mit
6,5mm-Stahlseil in verschließbaren Kunststofftonnen, die auswechselbar in einem Drahtkorb hängen.
Der Aushub wird übertägig gelagert und nach Funden durchsucht.


Funde

Der äußerst umfangreiche Fundkomplex bietet tiefe Einblicke in die Sachkultur der Zeit um 1800. In seiner Geschlossenheit, er umfasst fast das gesamte häusliche Inventar eines ländlichen Amtssitzes der frühen Neuzeit, ist er als ein Glücksfall für die Neuzeit-Archäologie zu betrachten.

Dem stratigraphischen Prinzip folgend, werden natürlich mit Fortschreiten der Grabung immer ältere Funde erwartet.


Unvollständige, überblicksartige Aufzählung der bisher ergrabenen Fundgruppen:

Keramik, Fragmente von mehreren hundert Gefäßen
 Irdenware
 Steinzeug, über hundert Mineralwasserflaschen
 Porzellan
 Fayance
 Steingut
Glas
 Fensterglas in großen Mengen
 Hohlglas wie Flaschen usw.
 Brillenglas
Metalle
 Münzen
 Besteck
 Kleineisenteile
 Bleistege der Fensterverglasung
organische Materialien
 Tierknochen in großer Zahl
 Holzteile von Möbeln usw.
 Werkzeugstiele und Griffe, Reisigbündel von Besen
 Mehrere Lederschuhe
 Zahnbürste
Ziegelsteine, bearbeitete Natursteine


Abb. 5
Blick von oben nach unten
Foto: Uwe Lüdeker
Jörg Strahlendorf fährt in den Brunnenschacht ein.
Gut zu erkennen ist der Übergng vom oberen, gemauerten Teil mit rundem Querschnitt zum im anstehenden Buntsandstein stehenden Schacht mit quadratischem Querschnitt.

 

 

Abb. 7
O-W Profil durch den bisher ausgegrabenen Teil der Verfüllung

 

 

Abb. 9
ausgewählte Funde, Buntsandstein

(1) Gewichtsstein mit Eisenring, übertägig erhalten ;
(2) Gewichtsstein mit Eisenring, 182,5m üNN ;
(3) Gesimse, 179,9 – 179,4m üNN ;
(4) stark abgenutzter Schleifstein, 180,4 – 179,5m üNN ;
(5) kleines Becken, 180,6 – 180,1m üNN ;
(6) Gerinne, 179,0m üNN

 

 

Abb. 6
Blick von unten nach oben
Foto: Uwe Lüdeker
Im Vordergrund links die Schutzbühne, 2m darüber, um 90° verdreht, die Reste ihrer Vorgängerin.

 

 

Abb. 8
Mineralwasserflasche und Siegelchronologie
links: Steinzeug-Mineralwasserflasche, Marke GEILNAU.
rechts: zeitliche Abfolge der Siegel Marke SELTERS, markiert sind die beiden unter den Brunnenfunden vertretenen Versionen.
Selters-Siegel von nach 1835 fehlen, was zeigt, daß spätestens 1835 mit der Verfüllung des Brunnens geendet wurde.
Die Gesamtzahl der gefundenen Mineralwasserflaschen dürfte bei über hundert Stück liegen, auch Glasflaschen-Siegel treten oft auf.

 

 

Abb. 10
Gerinne oder Trog auf der Brunnensohle bei 179,0m üNN
Foto: Uwe Lüdeker
Dieser ca. 1,50 x 0,55 x 0,40m große Buntsandstein (Abb.9 Nr.6) befindet sich noch immer im Brunnen, es hat sich noch keine Lösung gefunden, ihn zu Tage zu fördern.

 

Literaturhinweis:

Thomas Küntzel, Uwe Lüdeker, Hans-Georg Stephan, Julian Wiethold
30m unter Tage
In:
Archäologie in Niedersachsen – Der historische Moment
Oldenburg  Isensee-Verlag  2003
(ISBN: 3-89598-971-1)  S.112-115

Wissenschaftliche Leitung:

Prof. Dr. H.-G. Stephan
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Institut für Prähistorische Archäologie -

 Grabungsleitung:

Lothar Türck
Geiststraße 11a
37073 Göttingen

Abb. 1 Karte der Umgebung von Nienhover

Abb. 2
Schloß Nienover, EG Grundriss und schematischer N-S Schnitt

Links der Springbrunnen im Schloßpark, dessen Fontaine noch heute von der Wasserleitung aus dem 17.Jhd. gespeist wird.

 

 

Abb. 3
Merian–Stich von 1654
Der Merian–Stich von 1654 zeigt Nienover während des Wiederaufbaues 1640-1656. Der Südflügel (links) und der Nordflügel (rechts) wurden zuerst, sicherlich auch unter Einbeziehung von Resten der mittelalterlichen Burg errichtet.
Der verbindende Ostflügel kam erst später hinzu.
Der Brunnen liegt teilweise unter der östlichen Giebelwand des Südflügels.

 

 

Abb. 4 Schloß Nienover von Südosten Foto: Uwe Lüdeker