Quellungshöhlen im Gipskarst


Im Südharz gibt es eine besondere Form der Gipshöhlen, sogenannte Quellungshöhlen.

Die Entstehung dieser Höhlchen hat wohl zuerst E. BEYRICH mit der Volumenzunahme ("Quellung") der oberflächlichen Anhydritschichten bei der Aufnahme von Kristallwasser erklärt (BEYRICH 1870); die lineare Ausdehnung beträgt maximal etwa 17% (MOYE 1906: 42; REIMANN 1991: 25). Die verhältnismäßig plastischen Gesteinsbänke weichen dem Druck durch Ausbeulen nach oben aus. Darunter entstehen länglichovale, oft befahrbare Hohlräume. Die ältere harzer Höhlenliteratur (HAEFKE 1926, STOLBERG 1926, BIESE 1931) hat die Entstehungshypothese BEYRICHS und MOYES ohne weiterführende Untersuchungen übernommen.

Als Voraussetzung für die Bildung von Quellungshöhlen werden söhlige Lagerung, geringe Klüftung und gute Bankung des Anhydrits ohne Gesteinsüberdeckung genannt (HERRMANN 1953: 124 f.; 1966: 100; 1969: 6), wobei dünne, tonige Zwischenlagen die Oberflächenwasser stauen und als Ablösungsflächen und Gleitmittel bei der Verschiebung der Anhydritbänke gegeneinander dienen sollen (v. GAERTNER 1932: 683). Der Aufschluß am Bahneinschnitt an der Sachsenburg, in unmittelbarer Nähe von Quellungshöhlen, zeigt den Anhydrit sehr homogen und kluftfrei, jedoch ohne erkennbare Bankung und ohne "tonige Zwischenlagen". Vielmehr löst sich das Gestein hier unter den atmosphärischen Einflüssen schalig ab.

Das die Ablösungsflächen nicht durch primäre Lagerfugen vorgegeben sind, sondern daß die bankartige Strukturierung erst eine von der Schichtung unabhängige Folge von Scherspannungen beim Vergipsungsprozeß ist, macht eine Quellungserscheinung im ehemaligen Feldbahneinschnitt Rösetal noch deutlicher. Hier hatte sich um 1950 eine 30 cm mächtige Gesteinsplatte parallel zur Wand des Einschnitts um etwa 50 cm nach außen gewölbt, also senkrecht und ohne Beziehung zur Schichtung, gleichsam eine senkrecht stehende Quellungshöhle (der Aufschluß wurde leider mit Müll verfüllt). Einige Zwergenlöcher in Hanglage (Zwiebelhöhle, Schulweghöhle, Entenloch) zeigen erhebliche Asymmetrie und Sohlenneigung, obwohl der Anhydrit dort nicht anders liegt als bei benachbarten "söhligen Höhlen". Das Postulat söhliger Lagerung und guter Bankung wird durch diese Beobachtungen erheblich relativiert. Als Hauptvorraussetzung für die Häufung von Quellungshöhlen bleibt somit allein die fazielle Besonderheit des sehr homogenen Sachsensteinanhydrits, der wegen seiner geringen Klüftigkeit nur von der Oberfläche her vergipsen kann. Das geschieht so langsam, daß selbst im Bachbett des Spatenborns der Anhydrit zu Tage liegt.

Neuerdings hat sich REIMANN (1987 und 1991) im Rahmen einer Dissertation u.a. mit den Quellungshöhlen gründlich auseinander gesetzt (vergl. REINBOTH 1993). Neue quantitative Aussagen gewann REIMANN durch die Untersuchung zweier benachbarter Höhlchen im Sachsensteingebiet (Zwergenkirche und Zwergensakristei, Kat. Nr. 4429/017.39-1 und 4429/017.39-2), wobei er die gestreckte Länge der aufgewölbten Schicht zwischen den Gewölbescheiteln 8quer zu deren Längsachsen gemessen) mit der ursprünglichen Länge (d.h. also dem Abstand) verglichen hat. Mit diesem Kunstgriff wird die Beteiligung der gesamten Sulfatbank, also nicht nur die Wölbung selbst, am Aufwölbungsprozeß erfaßt. Bei Betrachtung einer einzelnen Aufwölbung ist das ja nicht möglich, da man den beteiligten Schichtbereich nicht kennt.

Zunächst überrascht REIMANNS Feststellung, daß die im Labor bestimmte Vergipsung der Schicht gerade im Bereich des Höhlengewölbes mit einem Restanhydritgehalt über 38% am geringsten, im flachliegenden Teil zwischen den Aufwölbungen hingegen stellenweise vollkommen ist. Die Bodenfeuchtigkeit als Kristallwasserlieferant ist tatsächlich an den steilen Flanken der Aufwölbungen geringer als in den dazwischen liegenden Senken, zumal das Gestein im Bereich der Aufwölbung auch von unten austrocknen kann. Die Korrelation zwischen dem mittleren Vergipsungsgrad, theoretischer Ausdehnung und gemessenem Längenzuwachs ergab gute Übereinstimmung.

Stellenweise ist der Gesteinskörper tektonisch strukturiert und somit eine Vorzugsrichtung für die Wölbungsachsen vorgegeben (REIMANN 1991: 90)(ähnlich krümmt sich angefeuchtetes Papier immer parallel zu dessen Faserstruktur); infolgedessen haben einige Höhlen einen ausgeprägten länglichen Grundriß mit eindeutiger Achse (Zwergenkirche, Arnulfsloch). Besonders im Bereich der Zwergenkirche geht REIMANN von einer Klüftung und aufsitzenden Dolinenreihen als Ausgangspunkt der Vergipsung aus. Das steht im Widerspruch zu den oben gemachten Feststellungen; die Zwergenkirche liegt allerdings am Rande des Verbreitungsgebietes der Quellungshöhlen. Eine strenge Ausrichtung der vermessenen Höhlen läßt sich sonst auch nicht feststellen; viele Quellungshöhlen haben keine oder bei eiförmigem bis spitz-dreieckigem Grundriß eine wenig ausgeprägte Längsachse. Zuweilen ist die Schicht sogar an der Stirnseite eines Gewölbes nochmals quer zu dessen Längsachse aufgestaucht wie bei der Waldschmiede und dem Möppelloch. Der Einsturz beginnt naturgemäß dort, wo die stärkste Beanspruchung der Aufwölbung stattfindet; die Eingangsöffnungen liegen deshalb meist an der "Spitze" des Grundrisses. (Auszug aus: REINBOTH, F. Die Zwergenlöcher bei Walkenried am Südharz - Bemerkungen zur Frage der Quellungshöhlen; Zeitschr. Die Höhle, 48 Jg. H1, 1997)

 Text: Fritz Reinboth (Auszug aus dem Höhlenkataster)